Die folgenden Kapitel vermitteln Grundwissen zum Thema Ergonomie. Sie widmen sich den praktischen Ansprüchen der Disziplin und diskutieren die Differenzierungen innerhalb des ergonomischen Erkenntnisinteresses. Denn es existieren viele Ansätze und Teildisziplinen mit speziellem thematischen Fokus.
Was ist Ergonomie in praktischer Hinsicht?
- Als Element der Arbeitswissenschaft befasst sich die Ergonomie am Arbeitsplatz mit der optimalen Anpassung der technischen Geräte und der Arbeitsumgebung an die arbeitenden Menschen.
- Die effiziente und fehlerfreie Arbeitsausführung zu gewährleisten und die ausführenden Individuen vor gesundheitlichen Schäden zu schützen, das ist das Kerninteresse des ergonomischen Ansatzes.
- Durch diese Vorsorgemaßnahmen sollen körperliche Beschwerden und psychische Belastungen durch die Arbeit weitgehend vermieden werden. Geht es um ergonomische Produkte, dann treten Schlagwörter wie „handhabbar“, „nutzerorientiert“, „komfortabel und „gebrauchstauglich“ in den Vordergrund.
Ergonomie hat den Menschen im Blick
Die Anpassung der Arbeitsbedingungen bzw. der Arbeitsgeräte an den Menschen wird gefordert. Alle Bedingungen sind so zu gestalten, dass bei der täglichen Arbeit eine möglichst geringe gesundheitliche Belastung entsteht.
Die Ausrüstung in einem Büro sollte folglich auf den Menschen zugeschnitten sein, die individuelle Physiologie definiert die Anforderungen. Arbeitsmittel wie ergonomische Maus, Tastatur oder Bildschirm sind unverzichtbar, wenn ähnliche Tätigkeiten über einen längeren Zeitraum vollzogen und möglichen Problemen vorgebeugt werden soll. Stichwort: Prävention.
Wenn der Charakter des Arbeitsplatzes menschengerecht ist, dann trägt er dazu bei, Verspannungen, Kopfschmerzen, Haltungsschäden und damit unnötige Fehltage zu reduzieren.
Korrektive versus prospektive Ergonomie
Das genannte vorbeugende Interesse wird unter dem Schlagwort „Prospektive Ergonomie“ diskutiert. Es wird angestrebt, ergonomischen Anforderungen bereits in der Planung Rechnung zu tragen. Gestaltungs- und Kundenwünsche sind in diesem Sinne vom Start weg Teil des Entwicklungsprozesses. Sie werden nicht nachträglich ergänzt.
Aufwendiger, teurer und im Endergebnis weniger erfolgreich stellt sich die Lage der sogenannten „korrektiven Ergonomie“ dar. Sie erfolgt als Reaktion auf manifeste Probleme wie Ineffizienz, hoher Krankenstand oder vielen Arbeitsunfällen. Prospektive Ergonomie dient somit der Reparatur einer defizitären Lage und stellt eine Intervention dar.
So gesehen spart ein Betrieb Geld, wenn bereits beim Bau der Fertigungsanlagen die Gesundheit der Mitarbeiter und die Bedienungsfreundlichkeit der Ausstattung eine Rolle spielen. Denn die Mehrkosten bei der Ersteinrichtung fallen im Vergleich mit dem bisweilen umständlichen Umrüsten untauglicher Arbeitsplätze niedriger aus.
Teilbereiche der Ergonomie
Folgende Bereiche spielen im Kontext der ergonomischen Arbeitsplatzforschung eine grundlegende Rolle. Sie markieren klar erkennbare Disziplinen mit definiertem Inhalten und Forschungslagen.
Physikalische Ergonomie
Den Auftakt macht das klassische Themenfeld der Ergonomie: Physikalische Ergonomie widmet sich der Gestaltung von Arbeitsplätzen in der Industrie oder im Büro.
Zum einen geht es dabei um die Arbeitsablaufoptimierung und die damit korrelierende Verbesserung der Effizienz. Zudem wird angestrebt, Haltungs- und Bewegungsschäden bei der jeweiligen Tätigkeit zu verringern oder auszuschließen.
Die Erkenntnisse münden im Praxisfeld Produktionsergonomie, in welchem menschengerechte Arbeitsplätze in Produktions- und Dienstleitungsbetrieben erarbeitet werden. Neben der Reduktion von Belastungen bewirken humane Arbeitsbedingungen zudem eine Optimierung der Leistungsabgabe.
Als Beispiel kann die bekannte Mensch-Maschine-Interaktion in der Autoindustrie angeführt werden.
Kognitive Ergonomie
Der Begriff der kognitiven Ergonomie beinhaltet die Analyse von Arbeitsbedingungen. Konkret werden Arbeitssysteme im Hinblick auf Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter betrachtet.
Diesbezüglich stehen besonders kognitive Prozesse im Vordergrund. Selbige erlangen vor allem in komplexen und dynamischen Situationen immense Bedeutung.
Themen:
- Wahrnehmung
- Gedächtnis
- Aufmerksamkeit
- Schlussfolgern (Deduktion und Induktion)
Visuelle Ergonomie
In diesem Teilsegment der kognitiven Ergonomie (siehe oben) rücken die Anforderungen an das Sehvermögen bei der Computerarbeit sowie im privaten Bereich ins Blickfeld. Das ist kein Zufall, denn der klassische Bildschirmarbeitsplatz erfuhr durch verschiedene neue Formen der Arbeit – etwa mit 3-D-Monitoren, Notebooks oder Tablet-PCs – eine deutliche Ausweitung.
Die visuelle Ergonomie widmet sich in Zeiten des demografischen Wandels neben der Gestaltung von Software auch der Situation von alterssichtig Beschäftigten. Eine Zielgruppe mit diversen Sehproblematiken und mit altersbedingten Muskel-Skelett-Beschwerden.
Praktisch werden zum Beispiel Gleitsichtbrillen unter Laborbedingungen erforscht und getestet. Zur Auswahl der richtigen Brille bei der Computerarbeit laufen seit geraumer Zeit Labor- und Feldstudien.
Hilfreiche Lösungen für die Öffentlichkeit bieten ein Internet-Beratungstool und die Broschüre Gutes Sehen im Büro, welche unter Beteiligung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) erstellt worden ist.
Optimierte Informationsaufnahme zeigt sich als relevanter Teilaspekt ergonomischer Ansätze, welche sich mit kognitiven Prozessen wie Wahrnehmung und Denkvorgängen beschäftigen.
Organisatorische Ergonomie
Organisatorische Ergonomie zielt darauf, die interpersonelle Kommunikation zu verbessern. Dabei widmet sie sich konkreten Gegebenheiten wie etwa der Sitzordnung in Klassenräumen oder Konferenzräumen. Die Anordnung des Inventars soll den Austausch verbessern und positiv anstoßen.
Biomechanische Ergonomie
Berufliche Tätigkeiten münden vergleichsweise oft in Erkrankungen und Beschwerden im Muskel-Skelett-System. Besonders gilt dies für Büroarbeit sowie für verwandte bewegungsreduzierte Arbeitsfelder.
Zu erwähnen sind ebenfalls körperlich extrem anstrengende Tätigkeiten, wie sie beispielsweise bei Lastenhandhabungen oder dem manuellen Bewegen von Patienten in der Pflege vorkommen. Neben den negativen Wirkungen auf individueller Ebene ziehen die hohen Fehlzeiten nicht selten betriebliche Probleme nach sich.
Biomechanische Ergonomie strebt an, eine arbeitsphysiologisch angemessene Gestaltung der Arbeit zu ermöglichen. Prävention und die Verringerung der gesundheitlichen Risiken sind vorrangige Ziele.
Die Erkenntnisse der grundlagenorientierten Forschung weisen eine enorme sozialpolitische Bedeutung auf, sie werden regelmäßig für die Politikberatung nachgefragt. Das Thema ist somit in der gesellschaftlichen Realität „angekommen“.
Systemergonomie
Etwas abstrakter und theoretisch anspruchsvoll gestaltet sich die Systemergonomie. Sie basiert auf der Systemtheorie und dient zum Beispiel dazu, die Gesamtausfallwahrscheinlichkeit eines Systems zu berechnen.
Dabei greift sie auf Erkenntnisse der Probabilistik zurück. Konkret wird etwa die bestmögliche Funktionsaufteilung zwischen Mensch und Maschine sowie der Automatisierungsgrad erforscht und berechnet.
Verhaltensergonomie
Wie sich Menschen im Job verhalten sollten, das thematisiert und erforscht die Verhaltensergonomie. Ein breites Spektrum – vom perfekten Handgriff in der Fertigung über die bestmögliche Körperhaltung im Büro bis hin zur allgemeinen Einhaltung nötiger Erholungsphasen – fällt in diesen Bereich.
Das Themenfeld erlaubt den subjektiven Blick – das Erkenntnisinteresse liegt auf dem Menschen als Individuum mit speziellen Eigenheiten und Bedürfnissen.
Frischluft, Licht am Arbeitsplatz, Pausen, Lärmreduktion, bewusste Arbeitshaltungen, Entspannungsübungen bis hin zur Optimierung der Aufteilung des Arbeitstisches sind Teil einer gesundheitsbewussten Arbeitsgestaltung.
Das Inventar stellt die Basics, das reale Arbeitsverhalten des Büro- oder Heimarbeiters ist eine weitere Komponente. Angestellte und Selbstständige sind aufgefordert, eine Art ergonomische Arbeitshygiene zu erlernen und umzusetzen – auch im eigenen Interesse.
Die Bedeutung des ergonomischen Kontextes
Das Umfeld, bzw. die Situation der konkreten Tätigkeit umfasst weitere Dimensionen, die sich täglich auswirken. Mal offensichtlich, dann wieder latent oder subtil. Ein stichpunktartiger Überblick:
Klimatische Aspekte
- Temperatur
- Luftfeuchtigkeit
- Luftwechsel
- Lärm
- Beleuchtung am Arbeitsplatz
Ausführungssituation
- Arbeitshaltung
- Greifraum
- Körperliche Belastung durch die Arbeitsaufgabe
Inhalt und Organisation
- Gestaltung der Arbeitszeit
- Pausen am Arbeitsplatz
- Anspruch bzw. Schwierigkeit der Aufgabe
- Eignung für die Aufgabe
- Mitwirkungsmöglichkeiten/Partizipation
Ergonomie Grundwissen – ein Kurzfazit
Es ist kein Widerspruch, dass die humane Perspektive im Ergonomie-Ansatz nicht mit Effizienzgedanken von Unternehmen kollidiert. Wer am Inventar spart, erhöht das Risiko, sich oder seine Angestellten zu verschleißen. Ein Verzicht auf Ergonomie ist nur kurzfristig „billig“.
Zwar fordert die ergonomische Einrichtung erst einen sicher nicht zu unterschätzenden finanziellen Aufwand ein. Doch langfristig kompensiert die gewonnene Qualität und Nachhaltigkeit die Investition mehr als deutlich. Ergonomie entpuppt sich häufig als Marktvorteil.
Gepaart mit ebenso professionellem wie gesundheitsbewussten Verhalten werden Aufgaben schneller, hochwertiger und innovativer gelöst. Freude und Leistung spielen im Idealfall zusammen. Zudem fordern Aussagen wie „Ergonomie ist ein professioneller Standard“ viele Betriebe heraus. Denn der Satz impliziert, dass der Respekt vor menschlichen Bedürfnissen bei der Arbeit kein Luxusgut darstellt, sondern normal sein sollte.
Diese Betonung der menschlichen Natur definiert die soziale Perspektive der Ergonomie. Präventiver Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Humanität markieren Inhalte, die zusammengehören und sich eben nicht ausschließen.
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