Unangenehme Aufgaben scheut jeder von Zeit zu Zeit. Plötzlich wirken das Lesen von Mails, Abwaschen oder Aufräumen viel attraktiver. In kleinem Maße ist das Verschieben ebenso normal wie harmlos – eine nachvollziehbare Handlung, die maximal zum Schmunzeln verleitet. Schließlich fällt es vielen Menschen leichter, etwas auf die lange Bank zu beordern als es in Angriff zu nehmen. Morgen ist ja ein weiterer Tag.

Dieser mitunter entlastende Reflex wird allerdings zum Problem, wenn daraus die Angewohnheit resultiert, unangenehme Tätigkeiten grundsätzlich aufzuschieben. Die Prokrastination – deckungsähnlich Aufschieberitis genannt – tangiert das Leben dann auf vielen Ebenen nachteilig. Die gute Nachricht lautet: Kaum jemand muss in seinem Muster gefangen bleiben, es existieren Tipps und Auswege. Doch nicht immer gestaltet sich die Lösung einfach.

Prokrastination & Aufschieberitis – was ist das eigentlich?

Ganz allgemein thematisiert der fast laxe Begriff Aufschieberitis das Verzögern von Aufgaben in chronischer und situationsübergreifender Weise. Vermeiden und Ausweichen prägen den Tag, ein Lebensstil – ein Habitus nach Bourdieu – manifestiert sich.

Dabei unterschätzen Außenstehende oft den belastenden Charakter der Gewohnheit, Aufgaben bewusst oder unbewusst zu verzögern. Sie macht das Leben unnötig schwer, denn wenn ganz normale Anforderungen dazu kommen, türmt sich ein kaum erklimmbarer Berg auf. Betroffene gelten zudem als faul, unpraktisch oder in seltenen Fällen gar als unfähig. Gerecht wird man ihnen dabei eher nicht.

Auf mentaler Ebene steigt der Leidensdruck über die Zeit an: Verzug bei Rechnungen bedeutet zum Beispiel psychischen Stress. Viele Mahnungen verstärken den Eindruck Eindruck, das eigene Leben nicht im Griff zu haben. Niemand mag zudem das Gefühl, den ganzen Tag nichts geschafft zu haben. Ein gewisses Maß an Produktivität tut gut, es wirkt sich positiv auf Selbstbewusstsein und Gesundheit aus.

Dem Begriff Prokrastination wohnt darüber hinausgehend eine hierarchische Dimension inne. Formal betrachtet stammt der Ausdruck aus dem lateinischen Begriff procrastinare (vertagen). Dabei bedeutet pro „für“ und crastinum „Morgen“. Die Wortschöpfung thematisiert deutlich, dass Unwichtiges bevorzugt wird; relevante Inhalte treten in den Hintergrund. Komprimiert ausgedrückt:

Die Angewohnheit, unwichtigen oder gar unnötigen Aufgaben die Priorität vor den wichtigen Aufgaben zu geben, wird als Prokrastination bezeichnet

Ursachen der Aufschieberites

Lange Zeit galt die Prokrastination als Studentenkrankheit. Die Abgabe wichtiger Semesterarbeiten auf die letzte Sekunde ist wohlbekannt und provoziert ein greifbares Bild. Glaubt man einem Artikel in Der Zeit, dann sind etwa um die 10% der Studenten betroffen. Als Grundtendenz fällt ferner auf, dass eher junge als alte Menschen mit dem Problem kämpfen.

Gleichzeitig stellt der „faule Student“ ein Klischee dar, die Idee, dass nur eine spezielle Gruppe betroffen ist, greift zu kurz. Aufschieberites ist weit verbreitet. Überall dort, wo das Aufschieben keine kurzfristigen negativen Konsequenzen nach sich zieht: im Job bei längerfristig angelegten Projekten, bei der Hausarbeit, im Rahmen der Organisation des Alltags, selbst in sozialen Beziehungen.

Eine isolierte Ursache findet sich daher selten, vielmehr ist von mehreren, sich teilweise überlappenden Wirkungsfaktoren auszugehen. Realistische Herangehensweisen betrachten das Problem multidimensional; es folgt ein Überblick möglicher Ursachen ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  1. Fehlendes Selbstmanagement
    Die Wahrscheinlichkeit für die Prokrastination erhöht sich, wenn wenig Druck und Kontrolle von außen (Lehrer, Vorgesetze) existiert. Ein problematischer Aspekt, denn er zeigt, dass nur ein Teil der Bevölkerung in der Lage ist, sich selbst ohne äußeren Druck zu motivieren und zu managen. Keinesfalls stellt dies eine bewusste Entscheidung dar, die gängigen Sozialisationserfahrungen begünstigen dependente Strukturen. Allerdings ist es durchaus möglich, sich neu zu arrangieren und zu motivieren, ein Prozess der beispielsweise Selbstständigen wohl bekannt ist.
  2. Chronische Überforderung:
    Zu viel Arbeit, zu viele Termine, zu viele Reize. Der Arbeit und selbst der gängige Alltag ist besonders in den westlichen Industrienationen von Tempo und einer hohen Aufgabendichte bestimmt. Viele Menschen funktionieren so lange in diesem Kontext, bis ihnen die Energie ausgeht. Ohne ihre energetischen Ressourcen entwickelt sich Stress. Das Verschieben wichtiger Aufgaben zeigt sich nicht nur als logische Folge dieser Lage, es schützt den betreffenden Menschen gleichzeitig vor dem Versagen. Die chronische Überforderung speist sich zudem aus weiteren Quellen: Private Probleme wie eine Trennung vom Partner oder der schmerzhafte Verlust von Angehörigen können ebenfalls Kraft und Stabilität rauben. Emotional belastende Erfahrungen münden dann in einem Vermeidungsverhalten, welches situativ begründet ist und nicht in den täglichen Aufgaben an sich liegt. Diese Differenzierung ist bei der Klärung sehr hilfreich.
  3. Reizüberflutung und Ablenkung:
    Bei den vielen medialen Angeboten der Gegenwart erhöht sich die Gefahr der Ablenkung. Noch kurz die Mails checken, einen Stream schauen, News überfliegen oder den Messenger für kurze Nachfragen nutzen – all das kostet Zeit. Inmitten vieler Optionen rückt das Wichtige oft in den Hintergrund. Eine Paradoxie der Gegenwart: Je mehr Freiheiten vorhanden sind, um so mehr Disziplin ist nötig, um in einer aktiven Position zu bleiben.
  4. Motivationsprobleme:
    Prokrastination ernährt sich gerne aus der Demotivation. Generelle Perspektiv- und Sinnlosigkeit im Beruf kann den eigenen Antrieb massiv schmälern: In schlecht bezahlten Branchen mit ungünstigen Arbeitszeiten stellt ein motivierendes Ziel (Gehalt, Anerkennung, intrinsische Motivation durch Spaß an der Aufgabe) eine Rarität dar. Die äußere und innere „Zugkraft“ fehlt, es liegt auf der Hand, dass anstehende Arbeiten dann als Belastung ohne jeglichen Zweck interpretiert werden. Es lohnt sich in solchen Momenten, von der rein pathologischen Betrachtung der Aufschieberites abzurücken. Das Symptom zeigt an, dass etwas in der Lebenssituation nicht stimmt. Wer es ernst nimmt und die Ursache ehrlich eruiert, bringt eventuell den Mut auf, sein Leben in neue Bahnen zu leiten. Ohne Zweifel ein schwieriger, aber mitunter sehr gesunder Schritt. Anzumerken ist ergänzend, dass manche Menschen den Druck, auf die letzte Sekunde etwas leisten zu müssen, geradezu brauchen. Sie sind darauf spezialisiert, nur unter Zeitdruck gute Ergebnisse zu liefern. Prokrastination ist bei dieser Gruppe Teil einer Gewohnheit, die zwar Stress mit sich bringt, aber bisher mit dem impliziten und reaktiven Motto „Motivation durch Zeitdruck“ zumindest funktioniert.
  5. Defizitäre Arbeits- und Tagesstruktur – mangelnde Prioritäten:
    Ein gewisses Reservoir an mentaler Energie bildet die Basis für schwierige Aufgaben, die Konzentration einfordern. Die bekannten Leistungskurven im Tagesverlauf bilden dabei ab, dass diese Ressourcen keinen statischen Charakter aufweisen, man denke nur an das bekannte „Mittagstief“. Es gilt, die anspruchsvollen Arbeiten zu jenen Zeitpunkten anzugehen, in welchen genügend Fokus vorhanden ist. Wenn eine schwierige Aufgabe auf einen bereits ausgelaugten Menschen trifft, dann wird dieser vieles tun, um sie zu vermeiden. Die Prokrastination signalisiert daher oft einen ungeeigneten Arbeits- und Tagesrhythmus mit unklaren Prioritäten.
  6. Verstärkung durch Erfolg und ausbleibende negative Konsequenzen:
    Das Hinauszögern zieht nicht immer negative Konsequenzen nach sich. Manch einer kommt damit durch. Sei es beim Lernen auf den letzten Drücker, bei der verspäteten Abgabe einer Seminararbeit oder weil Aufgaben geschickt delegiert werden – oft zu Lasten der Kollegen. Das Ausbleiben kurzfristiger Konsequenzen, das bisweilen unfassbar geschickte „Durchmogeln“ wird als Erfolg erlebt und verbucht. Als Folge dessen verstärkt sich das Phänomen, weil sich das verschiebende Verhalten über einen gewissen Zeitraum bewährt hat. So lange, bis es dann krachend scheitert.
  7. Perfektionismus:
    Zu viel des Guten verkehrt sich gerne ins Gegenteil: Wer an sich die Erwartung hat, nur perfekte Ergebnisse abzuliefern, wird daran vermutlich scheitern. Besser man fängt gar nicht erst an. Angst vor dem Versagen und Perfektionismus hängen durchaus zusammen.
  8. Minderwertigkeitsgefühl:
    Psychologisch orientierte Ansätze betonen, dass vielen Betroffenen ein – oftmals latentes – Minderwertigkeitsgefühl gemein ist. Ihnen fehlt eine grundlegende innere Sicherheit, ein solides Grundvertrauen in sich und ihre Handlungen. In dieser Perspektive sind unsichere Menschen dafür anfällig, ihren Selbstwert ausschließlich aus kurzfristigen Erfolgen zu speisen. Anstrengende oder schwierige Anforderungen bedeuten hingegen eine elementare Bedrohung des fragilen Selbst. Leichte Inhalte werden daher bevorzugt, viele wichtige Aufgaben ohne unmittelbare Belohnung für das Selbstbewusstsein kommen im Gegenzug zu kurz. Der sich zügig einstellende Erfolg beruhigt zwar für einen überschaubaren Augenblick, doch das schlechte Gewissen agiert weiter im Hintergrund. Fast alle wissen, dass sie die Zeit nicht so genutzt haben, wie sie es sollten oder gar wollten. Das schwächt erneut das Selbstwertgefühl – eine Situation mit belastendem Charakter verfestigt sich.

Erregungsaufschieber versus Vermeidungsaufschieber

➥ In der Literatur unterscheiden Experten meist zwei Typen: Sogenannte Erregungsaufschieber nehmen an, dass sie erst kurz vor Toresschluss bereit sind, eine wichtige Aufgabe anzugehen.Vermeidungsaufschieber bringen sich hingegen mit allerlei Ausreden in Zeitnot, um später ein schlechtes Ergebnis mit ungünstigen Bedingungen entschuldigen zu können.

➥ Zwischen 10-20% – die Zahl schwankt je nach Untersuchung – der Gesamtbevölkerung sollen von dem Phänomen der Prokrastination betroffen sein.

➥ Wer neue Ideen und Projekte nicht innerhalb von 72 Stunden beginnt oder zumindest einleitet, lässt diese fast immer scheitern. Die Wahrscheinlichkeit der Erledigung sinkt auf ein mickriges Prozent.

Die Folgen der Problematik sind ebenso real wie nachteilig. Besonders weil Aufgaben, sinnvolle Ideen und Projekte gar nicht erst angegangen werden.

Ist Prokrastrination eine Krankheit?

Meist gehört Ver- und Aufschieben zum normalen Alltag. Prokrastination stellt ein gängiges Phänomen dar, welches nicht zu früh etikettiert werden sollte. Problematisch wird das Verhalten, wie oben dargelegt, wenn es dominiert und dem Menschen kaum Handlungsalternativen bleiben. Selbst dann nicht, wenn wider besseres Wissen gehandelt wird und offenkundige Einschränkungen des Lebens zu erwarten sind: Geldverlust, Sorgen im Job, soziale Isolation, Abbruch des Studiums oder die Verwahrlosung der Wohnung zum Beispiel.

Von einem pathologischen Charakter lässt sich sprechen, wenn die Balance zwischen Anforderung und Leistung durch Vermeidung und Aufschieben langfristig zum gravierenden Nachteil der Betroffenen misslingt. Sie sind nicht in der Lage, ihre persönliche „Hölle“ aus eigenem Antrieb zu verlassen.

Mediziner und Therapeuten sehen chronische Defizite bei der Setzung von Prioritäten allerdings mehrheitlich als Teil eines größeren Problems – sie deuten das Verhalten als Indikator für eine ernste Grunderkrankung auf psychischer Ebene.

Wechselwirkung mit Depressionen

Abbildung: eine verzweifelte, traurige Frau

Zwischen Depressionen und der Prokrastination besteht in vielen Fällen eine Wechselwirkung. Nicht immer ist leicht zu erkennen, was Ursache und was Folge ist

Erst im Laufe vieler Jahre wurde deutlich, dass eine Beziehung zwischen Prokrastination und Depressionen vorliegt. Das Vermeiden des Unangenehmen resultiert aus einer depressiven Grunderkrankung und kann diese als beobachtbares Symptom anzeigen.

Psychologisch betrachtet versuchen depressiv verstimmte Menschen oftmals, das negative Gefühl, welches mit einer Aufgabe assoziiert ist, zu vermeiden. Sie wählen eine andere, einfache Tätigkeit. Zudem trauen sich Depressive schwere Anforderungen weniger zu, da neben der verminderten Motivation das eigene Selbstvertrauen bzw. das gesamte Selbstbild deutlich negativ eingefärbt ist.

Auf der anderen Seite ist bekannt, dass ein chronifiziertes aufschiebendes Verhalten Depressionen nach sich ziehen kann. Erst entwickelt sich ein nachteiliger Lebensstil, die Folgen – wie etwa Rechnungsverzug, geminderte Leistung, soziale Probleme, innere Unruhe, Anspannung oder Schlafstörungen – münden dann in einer Depression.

Ärzte und Psychologen betonen meist den depressiven Aspekt, da die Prokrastination international (noch) nicht als Krankheit anerkannt ist. Dem Wissen um die Wechselwirkung kommt im therapeutischen Bereich allerdings eine fundamentale Bedeutung zu.

Antidepressiva helfen den Betroffenen dabei, die Symptome und Angstzustände zu überbrücken. Langfristige Gesundung umfasst darüber hinausgehend eine Verbesserung der Verhaltensmuster zum Vorteil der Erkrankten. In diesem Kontext helfen z.B. Verhaltenstherapien depressiven Individuen dabei, anspruchsvolle Aufgaben mit neu eingeübten Herangehensweisen zu meistern.

Leider bestehen Defizite bei der Versorgung depressiver Menschen in Deutschland, wie dieser Artikel des Spiegel verdeutlicht.

Symptom psychischer Erkrankungen

Prokrastination steht zudem im Zusammenhang mit dem Posttraumatischen Belastungssyndrom. Vermeidendes Verhalten tritt im Kontext dieses Störungsbildes zusammen mit Phasen des Wiedererlebens (Flashbacks, Alpträume), der vegetativen Übererregung, der Gleichgültigkeit und des emotionalen Abstumpfens auf.

Vermehrt diagnostizierte Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störungen (ADHS) sind ebenfalls als potentielle Ursache zu nennen, weil sich daran erkrankte Menschen oft nicht richtig auf eine Aufgabe konzentrieren können. Ihre Reizfilterschwäche „überflutet“ die individuellen Steuerungsmechanismen.

Chronisches Aufschieben kann folglich andere Krankheiten als Depressionen anzeigen, es besteht aber keine zwangläufige Kausalität. Der genaue Blick auf den individuellen Lebensweg und die momentane Situation ist durch keine Vorannahme zu ersetzen.

Tipps & Hilfen – die Prokrastrination in den Griff kriegen

Tipps zur Bewältigung der Aufschieberitis

Weil der eine Königsweg nicht existiert, sollten stets mehrere Hilfen ausprobiert werden

Ein universelles Patentrezept zu postulieren, geht an der Realität vorbei. Die pauschale Lösung für alle existiert nicht, zu unterschiedlich die Szenarien und jene Menschen, welche in der lähmenden Situation feststecken.

Daher ist es sinnvoll, bei den folgenden Tipps individuell zu prüfen, was in der eigenen Lage hilfreich sein könnte. Wer seine Aufschieberites als Problem erkannt hat, selbiges ernst nimmt und sich traut, Änderung anzugehen, hat den ersten Schritt bereits absolviert. Glückwunsch.

  • Hilfe suchen oder annehmen:
    Phrasen wie „reiß Dich einfach zusammen“ gehen oft am Problemkern vorbei. Wer auf individueller Ebene viele Tipps erfolglos versucht hat, sollte Hilfen in Anspruch nehmen. Es ist wahrlich ein Zeichen von Stärke, externen Support zu nutzen. Selbsthilfegruppen, Foren im Web oder eine Beratung / Therapie bieten umfassende Unterstützung zur Gestaltung des Lebens. Oftmals bringen sie Klarheit über die Ursachen, viele Betroffene erleben dies als Entlastung. Je verständlicher die Situation, desto besser lässt sie sich angehen und aus neuen Blickwinkeln betrachten. Manch vormals unüberwindbare Aufgabe wandelt sich zur Herausforderung, da die eigene Denkweise nun Positives zulässt.
  • Unangenehmes dosiert zum Start abarbeiten – eat that frog:
    Setzen Sie sinnvolle Prioritäten: Meist tut es gut, den Arbeitstag mit der schwierigsten Aufgabe zu starten. Sie lauert sonst immer als Drohung im Hintergrund und verursacht ein negatives Gefühl. Tatsächlich kann dieser Auftakt mit dem Slogan „eat that frog“ erlernt werden. Wenn etwas Anspruchsvolles geschafft ist, dann geht der restliche Arbeitstag leichter von der Hand. Umfangreiche und gleichermaßen schwierige Inhalte sollten dabei in schaffbare Etappen aufgeteilt werden, sonst wirken sie zu übermächtig. Setzen Sie sich ein überschaubares Zeitlimit (Wecker oder passendes Online-Tool nutzen) oder eine feste Wortzahl, die es zu erreichen gilt. Als Belohnung winkt die positive Emotion, einen Schritt geschafft zu haben.
  • Cirkadeanen Rhythmus beachten:
    Wann ist der beste Zeitpunkt, um mit der Arbeit zu beginnen? Bei dieser Frage kommt der cirkadeane Rhythmus in Spiel. Das Minikonzept beschreibt die Fähigkeit eines Organismus, physiologische Vorgänge in einem Zeitbereich von etwa 24 Stunden zu synchronisieren. Umgangssprachlich bekannt als Tagesrhythmus. Dieser variiert vom Mensch zu Mensch, denn es gibt Frühaufsteher, Langschläfer und Individuen, bei welchen sich der Rhythmus immer etwas nach hinten verschiebt. Je nachdem, zu welchem Typ ein Mensch gehört, variieren die Zeiten der Produktivität ganz erheblich. Wer nicht in vorgeschriebene Arbeitszeiten eingebunden ist, sollte anspruchsvolle Inhalte dann abarbeiten, wenn genügend physische und mentale Ressourcen vorhanden sind. Dadurch gehen Tätigkeiten leichter von der Hand. Es ist somit von Vorteil, seine besten bzw. leistungsstärksten Zeiten am Tag zu kennen – und bewusst zu nutzen.
  • Aufgaben in realistische Teilschritte gliedern
    Wie bereits beschrieben, verleiten sehr umfangreiche Aufgaben dazu, sie gar nicht erst anzugehen. Fast immer hilft es, das Große in einzelne Schritte zu zerlegen und diese nach Fertigstellung abzuhaken – ruhig mit einer Checkliste. Dadurch bringen aufwändige Anforderungen zeitnah Erfolgserlebnisse mit sich, gleichzeitig nehmen fast alle Individuen kleinere Teilaufgaben als schaffbarer wahr. Es tut zudem gut, am Ende des Tages die eigenen Fortschritte zu sehen. Die gewählten Ziele sollten dabei einen realistischen Charakter aufweisen und innerhalb eines definierten Zeitraums erledigt werden. Im Kampf gegen die Aufschieberites spielen somit Planung und eine realistische Selbsteinschätzung zusammen. Hinweis: Vermeiden Sie ebenfalls zu lange Listen mit unzähligen Kleinstaufgaben. Diese verschieben das Problem nur und schrecken ebenfalls ab, da sie mühevolles Mikromanagement signalisieren.
  • Eine geordnete Umgebung schaffen:
    Nicht wenige Aufgaben geraten ins Hintertreffen, weil durch Unordnung und mangelnde Organisation am Arbeitsplatz bis zum Start unfassbar viel Zeit vergeht. Unterlagen suchen, Notizen sammeln, der Rechner hängt mal wieder – alles Störfaktoren fernab des Inhalts, die sich extrem negativ auswirken. Mit mehr Struktur und Ordnung im Büro kommen Sie besser und motivierter aus den Startblöcken.
  • Störungen ausschalten:
    Mitunter ist es gar nicht der Umfang der Aufgabe, welcher überfordernd wirkt, sondern die Unmöglichkeit, konzentriert zu arbeiten. Schlechte Bedingungen verleiten dazu, sich ihnen möglichst wenig auszusetzen. Reduzieren Sie daher ablenkende und störende Reize wie Lärm am Arbeitsplatz oder Blendung im Büro durch ein mangelhaftes Lichtkonzept. Meist steigt das eigene Tempo und die Motivation daraufhin spürbar an. Für andere Störungen sorgen wir hingegen selbst: Ob Telefon, E-Mail, Facebook, Twitter, Instagram, Skype, FeedReader, WhatsApp oder der nebenbei laufende Stream, jede Ablenkung bietet gleichzeitig einen Anlass, die eigentliche Aufgabe zu verschieben. Hier hilft die Devise: Störungen abschalten, Fokus anschalten.
  • Selbstlob und Selbstverstärkung:
    Weil es gar nicht so leicht ist, Änderungen im Verhalten zu etablieren, sind Belohnungen oder ein explizites Selbstlob wichtig. Sich etwas gönnen („gönn Dir“), so lautet eine jugendliche Redewendung. Ob Film, ein kleiner Einkauf, ein Snack, das entspannende Bad, ein Spaziergang oder Ähnliches – belohnen Sie sich, wenn Sie den Inhalten mit neuer Kraft erfolgreich entgegen treten. Dadurch rücken die eigenen Stärken endlich wieder in den Vordergrund. Gesunde Selbstwertschätzung hilft dabei, der bisherigen negativen Sichtweise zu entkommen. Auch für Belohnungen gilt übrigens: Bitte nicht zu lange damit warten!
  • Analyse – die Bedeutung der Prokrastination klären: „Was ist eigentlich los mit mir?“ Eine ehrliche Analyse der Situation mag nicht angenehm sein, hilft aber weiter. Herrscht generelle Lustigkeit vor oder sind es die kleinen Ablenkungen, welche so viel Zeit kosten? Und was bedeutet das für Selbstbild, Arbeit und Familie? Drohende Konsequenzen chronischen Verschiebens werden deutlich, die nötigen Änderungen können nicht länger geleugnet werden. Introspektion, das ist Krise und Chance zugleich. Mehr noch: Oft wird im aktuellen Diskurs übersehen, dass der Prokrastination ein Appell innewohnen kann. Sie zeigt, wenn sie nur bei professionellen Tätigkeiten vorkommt, womöglich eine falsche Berufswahl an. Der innere Widerstand manifestiert sich im beruflichen Vermeidungsverhalten. Deshalb ist es so wichtig, die Bedeutung nüchtern und schonungslos zu eruieren, womöglich mit externer Hilfe (siehe oben).
  • Perfektionismus und Angst vor Fehlern ablegen
    Der Drang zur Perfektion treibt an, doch er kann gleichzeitig zur Last werden, gar lähmend wirken. Niemand macht gerne Fehler – doch sie sind normal. Meist geht sehr viel Zeit & Kraft verloren, wenn Unbehagen dazu führt, dass viel Aufwand in die (defensive) Fehlervermeidung (ausufernde Recherche, Heranziehen zahlloser Quellen, permanente Überprüfung, Grübeln) gesteckt wird. Meist gerät der eigentliche Inhalt ins Hintertreffen. Das psychologische Prinzip ist leicht: Wer nicht beginnt, macht keine Fehler – Angst ist wirklich ein schlechter Ratgeber. Besser ist es, mit der Aufgabe nach bestem Kenntnisstand anzufangen und diese nach Fertigstellung in einem eigenen Arbeitsschritt konzentriert-kritisch zu überarbeiten. Der Prozess stellt durchaus einen abgrenzbaren Teilschritt auf einer To-do-Liste dar (siehe oben).
  • Notfallstrategien I: Die 5-Minuten-Technik:
    In absolut ausweglosen Momenten kommen einige Menschen weiter, wenn sie der verhassten Aufgabe kleinste Zeiträume widmen. Die 5-Minuten-Technik stutzt den aufragenden Aufgabenberg auf ein Mindestmaß zurück. Darauf kann man sich vielleicht gerade so einlassen und beginnt immerhin. Oft werden es einige Minuten mehr; ein kleiner Weg der Strecke wird erfolgreich zurückgelegt. Kein permanenter Ausweg, sondern ein pragmatischer Überlebenstrick, der dabei hilft, etwas zu beginnen, um es später leichter fortzuführen. Bei anhaltender Demotivation sollte dann allerdings nach 5 Minuten wirklich Schluss sein. Nur dann bewahren derartige „Miniverträge“ mit sich selbst ihren Wert. Hinweis: Je nach Author wird die kleinstmögliche Einheit nicht immer mit 5, sondern alternativ mit 10 Minuten beziffert. Am Prinzip ändert dies allerdings nichts.
  • Notfallstrategien II: Therapeutische Techniken nutzen:
    Aus dem Bereich der systemischen Beratung und Therapie sind Strategien bekannt, die in der Lage sind, chronische Verhaltensmuster aufzubrechen. Oftmals tendieren sie gegen die Intuition, ziehen aber erstaunliche Effekt nach sich. Ob sie als Dauerlösung funktionieren, ist allerdings Gegenstand vieler Diskussionen. Zu nennen ist dabei zunächst die Paradoxe Intervention. Sie nutzt das Phänomen, dass viele Menschen bevorzugt solche Dinge tun möchten, die sie in diesem Moment nicht können oder dürfen. Die eingeschränkte Entscheidungsfreiheit provoziert Widerstand. Wer sich etwa verbietet, eine unangenehme Aufgabe innerhalb der kommenden 24 Stunden anzugehen, wird dies mit nun größerer Wahrscheinlichkeit dennoch tun. Paradoxe Interventionen greifen gut bei einem enormen Motivationsmangel, da sie mit dem (unbewussten) Widerstand arbeiten – und dieser besitzt aus motivationaler Perspektive ein riesiges Potential. Ein weiterer Kniff ist die Illusion der Alternativen: Diese Technik greift dann, wenn zwei unangenehme Tätigkeiten anstehen – der Trick dabei: Man spielt sie gegeneinander aus, indem nur eine Aufgabe für heute ausgewählt wird, die Andere darf wegfallen. Notfallstrategien helfen zumeist situativ weiter.

Fazit

Ein gewisses Maß an Improvisation und Aufschieben ist ebenso normal wie menschlich. Niemand sollte oder muss sich im Rahmen der so populären Selbstoptimierung komplett verplanen. Wenn die Prokrastination allerdings chronisch auftritt, mutiert sie zu einem sehr realen Problem mit steigendem Leidensdruck. Ein Problem, welches nun dringend Lösungen einfordert.

Dies zu erkennen, stellt den ersten Schritt zur Besserung dar. Wenn bewährte, oftmals sehr praktisch ausgerichtete Tipps nicht greifen, dann liegt der Kern des Problems möglicherweise tiefer. Er erfordert eine intensive Betrachtung im Rahmen von Selbsthilfe, Beratung oder Therapie. Mit externer Unterstützung wird es oftmals möglich, der individuellen Situation Rechnung zu tragen und sie zu verbessern.